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Die passende Kamera finden


Du hast eine Kamera, die du regelmäßig benutzt, die du blind bedienen kannst und mit der du technisch zufrieden bist. Es interessiert dich deshalb nicht, was neuere Modelle bieten. Beneidenswert! Dann kannst du diesen Blog-Eintrag getrost überspringen.

Ich muss mich immer wieder einbremsen, wenn ich Kameraberichte lese, und mich daran erinnern, dass es eigentlich um das Bilder machen geht. Wer schon einmal den Technikteil einer Fotozeitschrift studiert hat weiß, wovon ich spreche: sich überschlagende Laborwerte, ISO-Zahlen im fünfstelligen Bereich und Megapixel-Wahn. Es werden Vergleiche inszeniert, Systemkamera gegen die klassische Spiegelreflex, oder Superlative ins Feld geführt, Kompaktkameras mit Megazoom oder sogenannte Edelkompakte mit vergrößertem Sensor und lichtstarker Optik, oft gepaart mit Retrolook und verspielten Drehrädchen. Jeder Kamerahersteller sucht seine Nische, und da die Technik ab einer bestimmten Preisschwelle ähnlich gut ist, entscheidet das Marketing über den Erfolg beim Kunden. An manchen Tagen bin ich anfällig für diese - ja doch meist irgendwie seriös anmutende - Werbung.

Mein Gegenmittel, um mich wieder zurück auf den Boden zu holen, sind "Trocken-Spaziergänge", Flanieren ohne Kamera, aber mit voller Aufmerksamkeit für meine Reaktionen. Wenn meine Sinne auf etwas anspringen, stelle ich mir vor, wie ich das Bild gestalten und belichten würde. Das führt mir im wahrsten Sinne des Wortes vor Augen, dass es in erster Linie um meine Wahrnehmung geht und erst im nächsten Schritt um das Gerät, mit dem ich meine Sicht auf die Dinge und Menschen festhalten möchte. Mit einem teuren Schreibgerät von Montblanc schreibt man auch nicht plötzlich wunderbare Gedichte oder spannende Kurzgeschichten. Eine ähnlich beruhigende Wirkung hat das Fotografieren mit einer analogen Filmkamera. Schon für 50-100 Euro kann man auf den einschlägigen Internetmarktplätzen klassische Modelle bekommen.

Ich benutze gerne eine Olympus Trip 35, die ich für 20 Euro gekauft habe. Dafür brauche ich nicht einmal eine Batterie, denn diese über 30 Jahre alte Kamera misst die Belichtung automatisch mit Selenzellen, die um die Linse herum verteilt sind. Meist lege ich einen Schwarz-Weiß-Film ein. Einstellen muss ich nur die Entfernung, Blende wählt die Kamera selbst und sie löst immer mit 1/400 aus. Alles sehr einfach und man kann sich ganz auf seine Umwelt und die eigenen Empfindungen konzentrieren. Nach dem Auslösen gibt es auch kein Vorschaubild auf dem Display, so dass man sich gar nicht weiter mit der Aufnahme beschäftigen kann. Man bleibt im Fluss und lenkt sich nicht mit Bewertungen ab. Wage doch mal den Schritt zurück und verknipse ein paar Filmrollen, am besten Farbe und Schwarz-Weiß. Allein das Warten auf die Entwicklung ist ein Erlebnis mit Aha-Effekt. Denn mit genügend Abstand bewertet man die eigenen Bilder anders und kritischer, manchmal entdeckt man sie geradezu neu. Probier es aus!

Nach solchen Vereinfachungsversuchen wirst du wahrscheinlich merken, wie gut deine jetzige Kamera ist, und dass du alles hast, was du brauchst. Wenn du dir jetzt immer noch eine neue Kamera anschaffen möchtest und ganz sicher bist, dass dein jetziges Modell wirklich ausgedient hat, nimm dir Zeit, um die für dich wesentlichen Merkmale herauszufinden - und vergiss einen Moment lang die technischen Daten.

Du wirst schnell erkennen, dass ganz andere Faktoren zum guten Bild führen als High-Tech-Geräte. Mach dich frei von Testergebnissen und Laborberichten! Entwickele ein Gefühl für Kameras. Gehe zum Fotohändler oder in ein Elektronik-Kaufhaus, schau dir möglichst viele Modelle an und nimm die in die Hand, die dir spontan zusagen. Achte auf Haptik, Bedienkomfort und - dein Bauchgefühl. Bist du ein Typ, der lieber durch einen Sucher schaut oder eher jemand, der die Blickwinkel über ein schwenkbares Display festlegt? Liegt die Kamera gut in der Hand und fühlt sich das Material angenehm an? Prüfe, ob deine Lieblingseinstellungen schnell erreichbar sind oder umständlich, im Menü verzweigt liegen. Ist die Akkuleistung ausreichend? Entscheide dich für eine Größe, die gut in der Hand liegt und die du gerne unterwegs dabei hast.

Denn nur wenn du wirklich viel fotografierst, lernst du die Kamera so einzusetzen, dass deine ganz persönliche Wahrnehmung zum Ausdruck kommt. Dann wirst du gute Bilder machen, an denen du immer wieder Freude hast - und allein darauf kommt es an.


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