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Objektiv betrachtet


Bei Systemen mit Wechselobjektiv stellt sich die Frage, welche Linsen man sich anschaffen sollte. Bei manchen Fotografen sind Zoom-Objektive verpönt. Andere fühlen sich durch Festbrennweiten eingeschränkt. Letztlich kann man in alle Richtungen argumentieren und eine lange Liste von Gründen für oder gegen bestimmte Objektive zusammenstellen.

Ich denke, dass die Abbildungsleistung von vielen Zoom-Linsen heute so gut ist, dass sie mit Festbrennweiten mithalten kann. Allerdings ist ein leistungsfähiges Zoom auch teurer als eine Festbrennweite. Wenn man aber berücksichtigen, wie viele Festbrennweiten nötig wären, um den Bereich von Weitwinkel bis Tele abzudecken, ist das Zoom die günstigere Variante. Es gibt nicht das beste oder optimale Objektiv per se. Worauf es wirklich ankommt ist die eigene Herangehensweise bei der Aufnahme und ob Du das Bild so gestalten kannst, wie es Deiner Wahrnehmung entspricht.

Ein 50-Millimeter-Objektiv (auf Kleinbildformat bezogen) gilt als „Normalobjektiv“, weil es in etwa dem Blickwinkel des menschlichen Auges von 46 Grad entspricht. Objektive unterhalb von 50 Millimeter gelten als Weitwinkelobjektive, unter 20 Millimeter spricht man schon von Superweitwinkelobjektiven und es gibt sogenannte Fisheye-Objektive, die einen Bildwinkel von 180 Grad abbilden und meistens ein kreisförmiges Bild produzieren. Brennweiten oberhalb von 50 mm gehören zu den Teleobjektiven, wobei mehr als 300 Millimeter Brennweite auch Super- oder Ultrateleobjektiv genannt werden. Weitwinkel- und Teleobjektive haben nicht nur unterschiedliche Bildwinkel, sondern auch spezielle Eigenschaften für die Perspektive und die Verzerrung im Bild. Diese liegen außerhalb der Fähigkeiten des menschlichen Auges und eröffnen daher neue Sehweisen. Diese besonderen Objektiveigenschaften können dem Bild schaden oder bewusst eingesetzt werden, um dem Bild einen gewissen Effekt zu verleihen.

Eine Festbrennweite von 24, 35 oder 50 Millimeter kann die Kreativität und das "Sehen mit der Kamera" fördern. Dadurch, dass man immer mit demselben Ausschnitt arbeitet, weiß man irgendwann genau, wie das Bild sich mit dieser Optik gestaltet. Solange ich die Distanz durch Laufen verändern und meiner Vorstellung anpassen kann, wird mir das Foto gelingen. Andernfalls muss ich eventuell auf das Bild verzichten oder ich schaue durch das "Auge" der Kamera und lasse mich dadurch auf Neues ein. Ich entscheide neu, was ich weglassen und was ich im Zentrum des Bildes haben will. Damit verlasse ich den Weg des ersten Impulses, entdecke Neues und komponiere das Bild bewusst. Darin liegt meiner Meinung nach das große Potenzial einer Festbrennweite. Mit einem Zoom hätte ich in so einer Situation wahrscheinlich kurzerhand die Brennweite verändert und ausgelöst. Das kann wiederum in zeitkritischen, spontanen Momenten wichtig sein. Da ist das Zoom wertvoll, weil ich meinen Eindruck schnell im richtigen Rahmen festhalten kann.

Der Verzicht, den eine Festbrennweite mit sich bringt, ist gleichzeitig auch eine Entlastung. Da ich ziemlich schnell mit dem Ausschnitt der Brennweite vertraut bin, weiß ich wie ich mich positionieren muss, um das Motiv aus der gewünschten Perspektive darzustellen. Ich muss mir nämlich keine Gedanken machen, ob ich die richtige Brennweite für das Motiv gewählt habe, ob die Komprimierung der Bildelemente durch eine große Brennweite im Telebereich vielleicht zu stark ist oder den gewünschten Effekt bringt. Wenn ich mir weniger Gedanken um die Effekte unterschiedlicher Brennweiten machen muss, habe ich mehr Kapazität, mich auf meine Umwelt einzulassen und meine Bilder zu machen. Sobald meine Aufmerksamkeit auf eine Situation oder Szene gelenkt wird, konzentriere ich mich darauf und warte auf den Moment, wo sich durch den Sucher oder auf dem Display alles so ergibt, wie ich es antizipiere - Klick!

Ist es mir gelungen, zweifelnde oder ablenkende Gedanken ziehen zu lassen und mit dem mitzugehen, was sich vor mir ereignet, werden Bild und Wahrnehmung nahezu kongruent. Das kann man mit einer Festbrennweite sehr gut üben. Mit etwas Erfahrung funktioniert das mit einem Zoom-Objektiv natürlich genauso und ich kann schnell reagieren, um den passenden Ausschnitt zu belichten. Außerdem bietet mir eine größere Brennweite die Möglichkeit des Freistellens. Gerade bei Portraits oder der Betonung einzelner Gegenstände ist die Wirkung eines unscharfen Hintergrunds oft wichtig. Das geht zwar auch mit Festbrennweiten bei weit geöffneter Blende, die meist zwischen 1.4 und 2.8 liegt, dann aber nur aus sehr kurzer Distanz. Probiere es aus und teste dich: Verführt dich ein Zoom dazu, vorschnell Dinge auszublenden, weil sie oberflächlich störend wirken, aber je nach Komposition und Blickwinkel, die Szene zu einer abgerundeten Geschichte gemacht hätten?

Entscheidend ist, wie genau ich unterscheiden kann, ob ich das Foto gerade nach einem Vorbild im Kopf an fremde Vorgaben anpasse oder aus dem eigenen Empfinden heraus meine Idee verwirkliche. Egal wie du dich entscheidest, wichtig auf dem Weg zum eigenen Bild ist die innere Haltung und Konzentration auf den Austausch zwischen mir und meiner Umwelt.

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